Dienstag, 26. November 2013

Wenn ich verschwinde ... - 1. Hier und jetzt (Teil 1.)

Sirena schnaubte grimmig und trat die Zigarette mit den schweren, schwarzen Stiefeln aus. Ich war nicht der Einzige der sie anstarrte. Eine Frau bekam Mann hier ohnehin selten zu sehen, doch eine wie sie hatte ich noch nie gesehen. Die langen türkisen Haare fielen offen über die knochigen Schultern, die kaum von dem weitausgeschnittenen weißen Top mit der Aufschrift „Peace“ verdeckt wurden. Die Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, als sie die Blicke bemerkte. Ich wich ihr unwillkürlich aus und ließ sie durch die Eingangstür schreiten. Als mir bewusst wurde das ich ihr hinterher starrte ging mein Blick auf den Boden. Immerhin war ich nicht der Einzige der so reagierte. In dieser Stadt war man im Allgemeinen noch prüde, eine Erscheinung mit grellem Haar und Minirock konnte hier noch immer für Aufregung sorgen. In meinem Kopf kreisten bereits die Fragen, was sie hier machen würde. In einer Stadt wie Hangwood, noch dazu im Gefängnis. Ich schob mich ebenfalls durch die Eingangstür. Es gab keinen Grund zur Eile, sie musste sich zunächst ohnehin Ausweisen. Heute war kein Besuchstag, also musste sie zu einem Angestellten wollen. Es gab eine freie Stelle in der Verwaltung und ich überlegte kurz, ob sie vielleicht zu einem Vorstellungsgespräch gekommen war. Doch diesen Gedanken verwarf ich wieder, als sie sich bückte um ihren Ausweis wieder aufzuheben, der ihr aus der Hand gefallen war. Ich bezweifelte das jemand so zu einem Vorstellungsgespräch erscheinen würde. Sie nahm keine Notiz von mir. Ich schob mich neben dem Getränkeautomaten und betrachtete sie von der Seite weiter.


Sirena schob sich das wellige Haar aus dem Gesicht und lächelte wieder. Sie reichte dem Mann hinter der Scheibe ihre Karte und beugte sich leicht nach vorne. „Tun Sie mir den Gefallen und sagen ihm er soll mich anrufen?“ Ihre Stimme klang leicht säuselnd, als würde sie versuchen ihm etwas einzuflüstern. Ich wandte den Blick wieder ab und versuchte mich zu konzentrieren. Während der Arbeit konnte ich es mir nicht leisten, plötzlich zu verschwinden. Ich ballte nervös die Hände zusammen und biss die Zähne zusammen. Das Geräusch ihrer Stiefel auf dem frisch gewischten Boden kam näher und mein Blutdruck stieg wieder an. Sie geht an mir vorbei und ich kann den Geruch ihres Parfumes riechen. Alles in mir verkrampft sich kurz.
Nicht jetzt. Ich kann nicht hier verschwinden …
Ich blieb wie angewurzelt stehen und wartete darauf, dass die Anspannung nach ließ. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich Sirena schneller wiedersehen würde als ich hoffte. Die Arbeit im Gefängnis hatte ich nur um mich immer wieder daran zu erinnern, was geschehen würde – wenn ich mich erwischen ließ.

Ich schruppte die Flure, Duschen und Büroräume. Niemand nahm wirkliche Notiz von mir und genau so wollte ich es auch. Schon seit meiner Kindheit habe ich Probleme mich zwischen Menschen zurecht zu finden, doch vielleicht bin ich es auch selbst, der sich gar nicht zurecht finden will. Ich ging nach Hause – zu Fuß wie immer. Der Herbst war noch nicht über Hangwood hergefallen, nur die verfärbten Blätter erinnerten daran, dass der Sommer eigentlich schon vorbei war. Ich ging nicht den direkten Weg zu meiner Wohnung sondern maschierte durch den angrenzenden Wald hinter dem Gefängnis. Ich konnte es noch immer nicht vollständig kontrollieren, manchmal brach es einfach aus mir heraus und ich verwand von einem Moment auf den anderen. Eine praktische Sache wenn man nicht beim Klauen erwischt werden will, während der Arbeitszeit jedoch konnte das ganze unangenehme Folgen haben. Ich versuchte nicht daran zu denken was passieren würde, wenn ich mich einmal vor Laufender Kamera in Luft auflöste. 

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